Interview mit Autor Benedikt Schwan
Benedikt Schwan erfährt mit 41 Jahren, dass er unfruchtbar ist. Statt sich in seiner Trauer zurückzuziehen, wählt er einen anderen Weg. Der langjährige Journalist beginnt, zu recherchieren — über die Fruchtbarkeit seines Geschlechts, über den gesellschaftlichen Umgang mit einem Tabu-Thema. Er interviewt Mediziner und Leidensgenossen weltweit und verarbeitet nebenbei seinen eigenen, persönlichen Umgang mit der Diagnose. Heraus kommt ein Buch, das sich offen und ehrlich dem eher totgeschwiegenen, und doch so wesentlichen Thema der männlichen Sterilität nähert: “Ohnekind”. Wir haben Benedikt Schwan einige Fragen gestellt und klare Antworten erhalten.
Herr Schwan, erst einmal Danke – für Ihre Offenheit und den Mut, sich einem Tabu-Thema unserer Gesellschaft zu widmen: Der Sterilität beim Mann.
“Gern geschehen – ich habe mein Buch „Ohnekind“ ja auch für mich selbst gemacht, da kam der Mut irgendwie von selbst. Es gab diese vielleicht etwas verrückte Idee, mir mein eigenes Leid von der Seele zu schreiben, gleichzeitig aber auch anderen Betroffenen zu helfen und irgendwie beizustehen, die bislang keine Stimme haben. Da gibt es so viele da draußen. Ich hoffe, dass mir das zumindest teilweise geglückt ist.”
Schon auf der ersten Seite nehmen Sie uns Leser mit zu Ihrem Spermiogramm-Termin. Sie beschreiben Ihre Behandlungen hin zu Ihrer eigenen Diagnose „zeugungsunfähig“ sehr ehrlich. Sie lassen uns teilhaben an der persönlichen Gedankenwelt von Ihnen und Ihrer Frau, mit all den Zweifeln und Ängsten, die eine Unfruchtbarkeit mit sich bringt. Inwiefern war der Schreibprozess eine Katharsis für Sie?
“Für mich selbst wird das Problem wohl nie weggehen, es ist ständig im Hintergrund präsent. Am Anfang stand die Frage, was ich da eigentlich überhaupt habe, was ist mit meinem Körper los und warum bin gerade ich betroffen? Ich wollte – auch, weil ich Journalist bin und Neugier zu meinem Beruf gehört – möglichst viel herausfinden über Zeugungsunfähigkeit. Das sollte mir helfen, irgendwie Hilfe zu kriegen. Gleichzeitig gelang es mir so, das Thema etwas von mir wegzuschieben und den Umgang damit zu „professionalisieren“. Das reduzierte den Schmerz ein wenig. Ich würde also schon sagen, dass das Schreiben ein kathartischer Prozess war. Ich habe dabei viel gelernt über mich und andere Betroffene.”
„Azoospermie“ lautet Ihre Diagnose und Sie schildern in „Ohnekind“, wie Sie sich dem Begriff nähern. In Foren und Selbsthilfegruppen recherchieren Sie – und finden heraus, dass Männer nur selten offen darüber sprechen, sie ihre Partnerin vorschicken.
Wieso ist männliche Unfruchtbarkeit Ihrer Meinung nach so ein Tabu-Thema für Männer?
“Das frage ich mich nach wie vor. Ich denke, es liegt daran, dass es den Kern der Männlichkeit betrifft. Man hat das Gefühl, nicht richtig zu funktionieren, seinen von der Natur aufgegeben Job nicht zu packen. Haus bauen, Baum pflanzen, Kind zeugen … Es geht an die Substanz, wenn man das eine nicht kann. Viele fragen sich auch, was Frauen von ihnen nun denken. Nehmen die mich noch für voll? Das alles geht einem sehr nahe. Deshalb wird lieber verdrängt. Dabei sind immer mehr Männer betroffen und man muss sich dafür nicht schämen, denn man kann dafür nur in den seltensten Fällen irgendwas!
Manche verwechseln auch Zeugungsunfähigkeit mit Impotenz, dabei hat das überhaupt nichts miteinander zu tun. Azoospermie wie in meinem Fall bedeutet schlicht, dass sich keine Samenzellen im Ejakulat befinden, die eine Eizelle bei der Frau befruchten könnten. Der Sex ist völlig normal und auch die Samenflüssigkeit sieht so aus, wie man das kennt.”
Tatsächlich aber nimmt die Sterilität des Mannes in unserer Gesellschaft Studien zufolge zu. Warum ist das so?
“Seit den Siebzigerjahren soll sich die Spermienkonzentration im Ejakulat von Männern in den westlichen Industrieländern ungefähr halbiert haben. Das heißt nicht, dass die alle zeugungsunfähig sind, aber die Zeugung macht das natürlich nicht einfacher. Entsprechend gibt es immer mehr Probleme beim Kinderkriegen, die Kinderwunschzentren sind voll. Man sagt, dass in mindestens der Hälfte der Fälle der Mann zumindest beteiligt ist, wenn es nicht klappt mit dem Nachwuchs.”
Zu den Gründen dafür gibt es zwar einiges an Forschung, doch das Gebiet wird leider noch total vernachlässigt. Entsprechend gibt es nur Vermutungen – die chemische Revolution etwa, der viele Kunststoff, der teilweise hormonwirksam ist, der Stress in der Gesellschaft, bis hin zu Mobilfunkstrahlen, die einen gewissen Einfluss haben könnten. Wir wissen es aber nicht wirklich. Mich hat vor allem überrascht, wie akut und verbreitet das Problem ist. Das hat mich bestärkt, darüber zu schreiben und mich zu engagieren – und man fühlt sich auch etwas weniger allein.”
Für „Ohnekind“ gehen Sie über die persönliche Ebene hinaus. Sie interviewen Leidensgenossen, einen mormonischen Fundamentalisten in Kanada mit 150 Kindern, besuchen Wissenschaftler auf der ganzen Welt und denken darüber nach, was andere Länder wie Norwegen besser machen als wir. Wieso war es Ihnen wichtig, das Thema Reproduktion / Familie so breit aufzustellen?
“In meiner persönlichen Geschichte war es so, dass ich das Thema Vatersein sehr lange aufgeschoben habe. Meine Frau und ich waren Mitte 30, als wir wirklich ernsthaft probiert haben, Eltern zu werden. Ich habe mir dann die Frage gestellt, warum wir das so lange verdrängt haben und warum das so viele andere Menschen auch tun.
Wieso haben so viele scheinbar so viel Angst davor, Kinder zu kriegen? Was machen wir da gesellschaftlich falsch, wieso gefährden wir die Zukunft unseres Gemeinwesens damit, denn ohne Kinder geht es nicht weiter?
“Hinzu kam die Frage nach dem Vaterbild, dass sich in den letzten Jahren stark gewandelt hat. Und ich wollte einfach gucken, was ich von anderen lernen konnte über das Thema.
Hinzu kommen die wissenschaftlichen und medizinischen Aspekte männlicher Unfruchtbarkeit, die ich einfach verstehen wollte. Ich habe auch ein bisschen an mir selbst experimentiert, etwa mit einem Spermienselbsttest.”
Sie beschreiben eindrucksvoll, dass Frauen in der Allgemeinmedizin bei Symptomen und Studien den Kürzeren ziehen. Dagegen ist die Wissenschaft der Fortpflanzungsmedizin jedoch nahezu ausschließlich auf die Frau konzentriert. Eine frühzeitige Diagnostik beim Mann wäre doch wünschenswert. Was muss sich hier ändern?
“Das ist eine ganz komische Geschichte. Egal ob bei Krebs, Herzinfarkt oder Darmerkrankungen – die Medizin ging jahrelang vom Mann als Standardmodell aus. In der Fortpflanzungsmedizin und Kinderwunschbehandlung fokussieren wir uns hingegen fast nur auf Frauen, die die ganzen invasiven Dinge, die harte Hormonbehandlung und vieles mehr mitmachen müssen. Männer bekommen ihre Spermienuntersuchung oft erst, wenn es längst zu spät ist. Seitdem es keine Wehrpflicht mit der Musterung mehr gibt, guckt sich fernab des Kinderarztes auch niemand mehr regulär ihr Gemächt an, mögliche Erkrankungen werden so nicht erkannt. Ich denke, dass Männer einerseits nicht gerne zum Arzt gehen, andererseits ist bei der Frau auch finanziell in der Fortpflanzungsmedizin einfach mehr zu verdienen. Verzeihung, wenn ich da etwas zynisch bin. Paare, die da durchgehen, habe es wirklich nicht leicht.”
Was kann die Politik tun, um das Bestehen unserer Art langfristig zu sichern?
“Sie sollte zunächst das Problem als Problem erkennen. Die Ampel hat jetzt einmal begonnen, sich dafür zu entscheiden, wieder mehr Geld in die Fortpflanzungsmedizin zu stecken, mehr Forschung zu finanzieren. 2003 war der Politik eingefallen, dass man doch Kinderwunschbehandlungen nur noch in drei Zyklen und dann auch nur zur Hälfte bezahlen könnte. Seither verschulden sich Leute in die Zehntausende. Das ist meiner Ansicht nach komplett irre. Der Staat sollte alles dafür tun, Menschen das Kinderkriegen zu erleichtern. Das beginnt bei der medizinischen Seite, endet aber noch lange nicht bei familienfreundlichen Arbeitgebern, gut funktionierenden Kitas und einer allgemeinen Wertschätzung von Eltern.
Zuwanderung allein reicht leider nicht, unser Gemeinwesen zu erhalten, zumal wir dadurch anderen Ländern ihre Menschen „klauen“. Aktuell reden wir noch viel über Überbevölkerung. Ich prophezeie, dass sich das bald ändern wird, denn Unfruchtbarkeit wird weltweit zum Problem.”
Was würden Sie aus heutiger Sicht Männern raten, die noch einen Kinderwunsch verspüren? Wann sollten Männer sich Ihrer Meinung nach mit dem Thema Fruchtbarkeit und Kinderwunsch befassen?
“So früh wie möglich. Ich plädiere dafür, dass mit Eintritt der Pubertät ein Spermiogramm gemacht werden sollte. Genauso wie Frauen ihren Frauenarzt haben, brauchen wir bei Männern einen „Männerarzt“. Eltern sollten bei ihren Söhnen explizit auf das Thema Furchtbarkeit achten. Es gibt Unfruchtbarkeitserkrankungen wie das Klinefelter-Syndrom, bei dem man noch etwas retten kann, wenn es rechtzeitig erkannt wird. Aber das tun wir aktuell überhaupt nicht, Männer kommen erst dann zum Arzt, wenn sie das akute Problem haben. Vorsorge Fehlanzeige.
Außerdem finde ich es wichtig, dass es gesellschaftlich akzeptiert wird, dass Männer aus sich heraus einen Kinderwunsch haben. Sie kommen nicht einfach nur dazu, wenn bei ihrer Frau die biologische Uhr tickt. Ein Kind zu haben, ist bei fast allen von uns, egal ob Mann, Frau, Trans oder Nonbinär, ganz tief drin. Deshalb ist der Verlust durch Unfruchtbarkeit auch so hart.”
Sie lassen uns in „Ohnekind“ an Ihren Überlegungen teilhaben, eine M‑TESE durchführen zu lassen, um doch noch eine Familie zu gründen. Letzten Endes entscheiden Sie sich aber dagegen. Hand aufs Herz: Haben Sie es bereut, Ihre Spermien nicht früher getestet und ggf. einfrieren gelassen zu haben?
“Wir haben uns vor allem dagegen entschieden, weil wir zu alt waren. Ich wollte meiner Frau in den Vierzigern diesen unglaublich harten Prozess der Kinderwunschbehandlungen nicht mehr antun, zumal die Chancen sich mit zunehmendem Alter auch stark verringern. Also ganz ehrlich: Ich habe es extrem bereut, mich nicht früher mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben.
Ich weiß nach wie vor nicht, warum ich zeugungsunfähig bin. Ich versuche deshalb, der Forschung zu helfen und ich bin Teil eines Genpanels, das nach Markern für Unfruchtbarkeit sucht. Bislang gab es hier noch keinen Treffer. Und niemand weiß, wann ich unfruchtbar geworden bin, ob es angeboren ist oder erst später kam. Und das geht fast allen Betroffenen so! Entsprechend würde ich alle jungen Männer dazu drängen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Macht so früh wie möglich ein Spermiogramm, dann wisst Ihr Bescheid! Auch wenn Ihr aktuell noch keinen Kinderwunsch habt. Der kommt dann noch früh genug!”
Über Benedikt Schwan:
Benedikt Schwan ist seit über 20 Jahren Journalist und beschäftigt sich mit Fachgebieten Technologie, Wissenschaft und Forschung. Seine Texte sind unter anderem in “Zeit Online«, “Focus” und “Spiegel Online” erschienen. Schwan ist verheiratet und lebt in Berlin. “Ohnekind” ist sein erstes Buch und 2020 im heyne Verlag erschienen.
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